2. Humanitärer Transport an die polnisch-ukrainische Grenze
Am dritten Märzwochenende habe ich eine weitere Transporttour übernommen.
Ziel war, Samstag Abend eine Ladung Hilfsgüter in Przemysl abzugeben und Sonntag Morgen zwei Personen - Mutter und Sohn - nach Deutschland mitzunehmen.
Wir von "Ratzeburg Hilft" trafen uns am Freitag Nachmittag zum erneuten Beladen des Intec-Transporters. Petrus tat das Seinige, um uns die Arbeit so angenehm wie möglich zu machen.
Alle haben mit angepackt.
Ich startete wieder Samstag sehr früh morgens, mit 1100km und 11 Stunden Fahrt vor mir.
Auch diesmal kam ich gut durch. Was mir aber spätestens um Berlin herum auffiel: Ich war anscheinend die einzige mit dieser Mission.
Als ich 2 Wochen zuvor unterwegs war, sah ich überall vollgepackte Fahrzeuge, die sich ihr Ziel auf Schilder gemalt und in die Scheiben geklebt hatten: Stand with Ukraine. Da waren gefühlt Hunderte solcher Autos in gleicher Richtung unterwegs.
Diesmal jedoch sah ich auf der kompletten Deutschland-Durchfahrt kein einziges! Und später in Polen vielleicht fünf oder sechs. Ich weiß das nicht so recht zu deuten ... Findet die Hilfe nun anderweitig statt und nicht mehr mit lauter kleinen Wochenendfahrern? Oder schreiben die sich ihr Vorhaben bloß nicht mehr so sichtbar auf die Stirn? Oder hat die Spendenbereitschaft nachgelassen? Was mag der Grund sein?
Ich kam bei Sonnenuntergang in Przemysl an in dem improvisierten Lager, das diesmal mein Ziel war.
Die Sachen werden dort entgegengenommen und später gebündelt über die Grenze in die Oblast Lviv gebracht, von wo aus sie weiter an die Front verteilt werden. Jede unserer Kisten, jeder einzelne Sack war mit den Kontaktdaten des Empfängers beschriftet.
Oleg und seine Kollegen brauchten zum Abladen nur einen Bruchteil der Zeit, die wir am Tag vorher zum Einladen benötigt hatten.
Oleg, der zum Glück sehr gut Englisch spricht, half mir auch bei der zweiten Aufgabe. Er fand nämlich heraus, wo diejenigen Flüchtlinge landen, die zu Fuß über den Autobahn-Grenzübergang Korczowa kommen. (Anders als in Medyka/Shegini kann man dort nicht jemanden direkt an der Grenze treffen und abholen.) Die werden nämlich in Bussen sofort zu einer Art Erstaufnahmestelle gebracht:
Punkt pomocy dla uchodźców: Centrum Handlu i Magazynowania Korczowa Dolina – Hala Kijowska +++ https://maps.app.goo.gl/qc1KgNuEQNdK4MDV6
Um die Sprachbarriere zu umgehen, übernahm er das Telefonat mit Tatyana und verabredete sie und mich für den nächsten Morgen. Tatyana und ihr Sohn würden noch am späten Abend die Grenzüberquerung versuchen. (Und wie sie mir später erzählten, hatten sie Riesenglück und schafften das innerhalb von 30 Minuten, während andere 8-10 Stunden anstehen mussten.)
Ich fuhr noch am Abend dort hin, um in der Nähe übernachten zu können und morgens gleich startklar zu sein.
Die Erstaufnahmestelle ist in einem ehemaligen Einkaufszentrum untergebracht, die Zufahrt wird durch Polizei mit Blaulicht bewacht. Auf der anderen Straßenseite befindet sich ein größerer LKW-Parkplatz, völlig überfüllt, aber mit dem vergleichsweise kleinen Transporter konnte ich mich in die letzte Lücke quetschen.
Noch mal eine Nacht im Fahrerhaus.
Und wer schon mal am letzten Festivaltag ein Dixiklo benutzt hat, der kann sich mein Erstaunen vorstellen darüber, dass die beiden hiesigen Exemplare absolut zumutbar waren, wie ich nach sehr langem Hinauszögern feststellen durfte.
Mit Tagesanbruch schälte ich mich aus dem Schlafsack und fuhr nach Nebenan, wo die Polizeiwache mich einfach durchwinkte. Hinterm Gebäude konnte ich parken und auch gleich ungehindert durch die Schiebetüren hinein marschieren.
Oha. Fotografieren ist verboten. Man stelle sich ein leergeräumtes Einkaufszentrum vor. (Aber nicht Alstertal oder Europapassage, sondern eher in der Liga Farmsen oder Jenfeld. Ein bisschen oll halt.) Alles war hell erleuchtet.
In diese leeren Flure und Räume wurden lauter Feldbetten gestellt. Die meisten der Betten waren belegt, zig weitere standen stapelweise an der Seite, jederzeit einsatzbereit. Viele Leute schliefen noch, die Wolldecken waren alle vom gleichen Aussehen, teilweise mit bunt zusammengewürfelter Bettwäsche (wahrscheinlich Sachspenden?) ergänzt. Dazwischen überall Gepäck.
Kinder jeden Alters ... Senioren, die gestützt werden mussten ... Familien, die sich aus gekippten Feldbetten einen Sichtschutz gebaut haben ... in der Ecke bellte ein Hund ... auf dem einen Bett, sorgfältig zu drei Seiten zugedeckt, lagerte eine Transportbox, in der eine Katze schlief ... Leute mit Taschen und Koffern liefen die Gänge entlang ...
Die Atmosphäre war erstaunlich ruhig, wirkte auf mich überhaupt nicht angespannt.
Ein Teil der ehemaligen Ladenzeilen bestand aus improvisierter Frühstückstheke. Ich habe da sogar einen Kaffee mit Sojamilch bekommen und war sehr dankbar.
Es patrouillierten lauter polnische Soldaten-Grüppchen herum. Ein paar wenige Helfer konnte ich anhand ihrer gelben Westen und laminierten Ausweise identifizieren.
Die Toilettenräume des Einkaufszentrums waren ok für die Menge an Leuten, nicht überfüllt, nicht geschniegelt, aber pragmatisch mit allem Nötigen ausgestattet. Duschmöglichkeiten hab ich keine gesehen.
Neben einer kleinen Tierfutter-Ausgabestelle stand ein öffentliches Katzenklo mit einem Wassernapf daneben. Komisch, aber das hat mich sehr berührt.
In der Mitte einer größeren Halle befand sich die Information, ebenfalls behelfsmäßig aus alten Möbeln zusammengestellt und mit Eddingplakaten gekennzeichnet.
Dort war anscheinend auch der Treffpunkt für Busfahrten in andere Städte. Während ich da wartete, wurde per Lautsprecher eine Fahrt nach Krakau ausgerufen.
Für mich war dieser Informationstisch der Treffpunkt mit Tatyana, und das funktionierte auch. Ich musste mich dort zwingend als Abholer registrieren mit Kfz-Schein und Perso und bekam eine Art Ticket, das mir später an der Polizeikontrolle die Ausfahrt ermöglichte.
Alles lief unaufgeregt und reibungslos. Dennoch war das für mich eine ziemlich eindrucksvolle, krasse Erfahrung.
Der Rückweg nach Deutschland war wieder sehr lang. Ich empfand es als Herausforderung, mich aufs Fahren zu konzentrieren und gleichzeitig auf die Unterhaltung (wenn man unser dreisprachiges Radebrechen so nennen kann).
Nach 9 Stunden kamen wir in Halle an, wo Tatyana und Ilya nun erst mal bei meiner Schwester und ihrer Familie wohnen werden. Das wiederum ist sicher eine Herausforderung der ganz anderen Art für alle Beteiligten und hat meinen größten Respekt!
Ich wurde mit Abendessen und Kuchen gestärkt, um schließlich die letzte Etappe meines Heimwegs anzutreten.
Nach über 2500 km Fahrt war ich dann am Sonntag gegen 23 Uhr wieder zuhause - müde und glücklich.
+++++ Danke an alle. +++++
Und dies ist der Bericht von der ersten Transportfahrt 2 Wochen vorher:
https://2022supportukraine.blogspot.com/2022/03/humanitarer-transport-in-die-ukraine.html
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