4. Humanitärer Transport an die polnisch-ukrainische Grenze


Diesmal war alles anders! Es stellte sich im Nachhinein schon als eine ganz schlechte Idee von mir heraus, am Karfreitag zu starten.

Dabei fing es entspannt an - Gründonnerstag bei mildem Wetter und mit vielen Helfern wurde der Transporter beladen. 



Anders als sonst waren diesmal viel mehr Konserven und kompakte Lebensmittel dabei. Hugo beäugte das ganze schwere Zeug schon sehr misstrauisch, sodass wir uns zurückhielten und sogar viele von den riesigen Suppendosen wieder rausnahmen.

Ich startete guter Dinge am Karfreitag gegen 06:15h und verbrachte anschließend die einzige entspannte Stunde dieses Tages.

Dann fuhr ich auf der A24 an einem stehenden Polizeiwagen vorbei, der am Ende eines Rastplatzes lauerte den Verkehr im Blick hatte. Ich sah schon im Rückspiegel, wie er losfuhr, kaum dass ich ihn passiert hatte, und mir schwante Übles ... Die meinen doch hoffentlich nicht mich??

Nun ja, sie meinten mich. 

Ich wurde per "Bitte folgen"-Licht von der Autobahn gelotst, und zwei nette Polizisten wiesen mich darauf hin, dass der Wagen wohl überladen ist. Zwecks Beweis fuhren wir zu ihrem Revier, wo die Waage ihnen Recht gab - in einem Ausmaß weit jenseits aller Toleranzen.

Ich als Fahrer bin verantwortlich, da gibt es nichts zu diskutieren. Und wenn ich meine Fahrt fortsetzen will, muss ich vorher Ladung loswerden. Und zwar ohne dass ich sie irgendwo hin bringen könnte, denn ich darf so keinen Meter weiter.

Dass ich am Feiertag morgens um 7 die Ratzeburger Helfer aus dem Bett klingele, damit sie mit 5 Pkws anderthalb Stunden lang zu mir fahren, stand ganz weit unten auf meiner Optionenliste. (Obwohl einige  Frühaufsteher auf meine Problemmeldung in der Chatgruppe mit konkreten Hilfsangeboten reagiert haben - danke Kiki und Stephanie!)

Spätestens ab jetzt stellte sich die Polizei als wahrer Freund und Helfer heraus. Als ich fragte, ob es nicht vielleicht irgendwo hier im Dorf ebenfalls Spendensammler gibt, die ich um Unterstützung bitten könnte, wurden die Polizeikollegen ganz kreativ und haben wild angefangen herumzutelefonieren, und sie hatten weniger Hemmungen als ich ob der frühen Stunde. Irgendjemand muss die Bürgermeisterin von Neustadt-Glewe wachgeklingelt haben, die wiederum an Herrn M. verwies, der sich tatsächlich auf den Weg zur Autobahnpolizei machte.

Ich bekam derweil Kaffee und persönliche Betreuung und grübelte innerlich, wie denn ein einzelner T5 mich aus der Misere erlösen sollte. Man bräuchte wohl eher drei oder vier davon, wenn ich richtig rechne ...

Lange Rede, kurzer Sinn: Im Nieselregen luden wir gemeinsam das Übergewicht nach Augenmaß in den Bulli um. Fast könnte man meinen, wir schufen damit das zweite überladene Fahrzeug, aber was weiß ich schon ...

Unter Ausschöpfung (hoffentlich nicht Überschreitung?) sämtlicher Ermessensspielräume ließ die Polizei mich nach knapp zwei Stunden weiterfahren.

Herr M. machte sich mit seiner Teilladung auch auf den Heimweg; wir hatten unsere Kontaktdaten, und ich versprach, das Zeug nach Möglichkeit auf dem Rückweg wieder abzuholen.

Ich bin jetzt noch sehr dankbar für das Verhalten der Polizisten. Oft stelle ich mir vor, wie die alternative Zeitlinie verlaufen wäre, in der ich vielleicht wirklich einen Reifenplatzer gehabt hätte bei 120 km/h.

Warum es danach nicht entspannt weiterging? Weil Millionen anderer Leute ebenfalls am Karfreitag ins lange Wochenende starteten, insbesondere zum österlichen Familienbesuch nach Polen. Ich geriet von einem Stau in den nächsten. 

Normalerweise zählt das Navi ja die verbleibende Fahrzeit runter ... bei mir zählte es hoch! Teilweise standen wir mit ausgeschaltetem Motor auf der Autobahn. 

Spät abends kurz hinter Krakau muss ein richtig schlimmer Unfall passiert sein. Durch die vorbildliche Rettungsgasse rasten Polizei, Krankenwagen und sechs Feuerwehrautos an uns vorbei.

Nur etwa 800m voraus sah ich all dieses Blaulicht und das große gelbe Kreuz der Vollsperrung. Die Leute vor mir gingen in der Dunkelheit mit ihrem mitreisenden Hund Gassi auf der Autobahn ...

Im kollektiven Familiengedächtnis gibt es die Erinnerung an einen 8-Stunden-Stau vorm Tauerntunnel, damals in meiner Kindheit auf dem Weg in den Sommerurlaub. Gefühlsmäßig kann ich das nun toppen mit meiner verhexten Karfreitagsfahrt.

Ich kam erst Mitternacht in Radymno an, nach 18 Stunden ... das hat mich körperlich an meine Grenzen gebracht, auf den letzten Kilometern flimmerten mir schon die Augen.

Es war sehr wohltuend, dass diesmal ausnahmsweise ein richtiges Bett auf mich wartete. Mit meiner ukrainischen Ansprechpartnerin Jana war ich eh im grenznahen Hotel Dwor Kresowy verabredet, und in weiser Voraussicht hatte sie mir dort ein Zimmer reserviert. Und als hätte sie etwas geahnt, war auch die Umladung der Sachen erst für den nächsten Morgen angedacht.

Wir trafen uns 6:30h zum Frühstück und zur Lagebesprechung. Es waren auch andere deutsche Fahrer im Hotel: eine Gruppe aus Essen, die mit vielen Kleinbussen Sachspenden brachte und Flüchtende mit zurück nehmen wollte - einige von ihnen wollten sogar rüber nach Lviv.

Jana telefonierte sich die Finger wund, um herauszufinden, ob und wann unser ukrainischer Empfangs-Transporter den Grenzübertritt schafft. Sie feilte sogar schon an Plan B, um die Sachen irgendwo auszuladen, damit ich mich bald auf die Rückfahrt machen kann und nicht auf ungewisse Zeit warten muss. 

Doch dann ging es ganz schnell: Der Wagen war plötzlich da, und in gewohnter Heck-an-Heck-Manier luden wir mit vereinten Kräften die Spenden um.



Für solche Aktionen ist die Laderampe des Intec-Transporters superpraktisch, weil man "auf einer Ebene" arbeiten kann. 


Angesichts der Gewichtsproblematik würde ich in Zukunft aber lieber ein anderes Fahrzeug wählen, um nicht diese 200kg, die so eine Arbeitsbühne sicher wiegt, zusätzlich durch die Gegend zu kutschieren.

Jana kennenzulernen war mir eine große Freude. Sie kommt, wie eine unserer Vereinsgründerinnen, aus Ochtyrka, einer Stadt, die schon zu Beginn des Krieges schlimmen Angriffen ausgesetzt war. Für Ochtyrka ist nämlich unsere Spendenladung bestimmt, und ich hoffe, sie kann für die Bewohner ein winziges bisschen Linderung ihres Unglücks bewirken.

Der Rückweg war geradezu ein Spaziergang. Das Navi änderte seine Meinung über meine geplante Ankunftszeit nicht wesentlich, und so konnte ich gegen 19:15h den Schlenker nach Ludwigslust machen, um das Übergewicht wieder abzuholen. Herr M. hatte alles in seiner Garage gelagert, und die ganze Familie packte mit an, um die Sachen schnell wieder auf der Transporterladefläche zu verteilen. Es war erschreckend viel:


Kurz nach halb neun abends war ich zuhause.

Die übrigen Spenden hab ich Sonntag wieder in den Burgtheater-Keller einsortiert, damit ich in der kommenden Woche das Auto leer und sauber zurückgeben kann.

Das war eine besondere Fahrt für mich. Viele der unerwarteten Hürden konnte ich überwinden dank der Unterstützung durch wildfremde Leute, die das nicht hätten machen müssen und dennoch taten. Früher hab ich auch schon Unbekannten aus der Patsche helfen dürfen, und diesmal wurde mir aus der Patsche geholfen.

Ich bin nicht religiös, aber ich glaube fest daran, dass das Gute sich auf diese Weise fortsetzt und vermehrt und seine Kreise zieht. Soweit mein Wort zum Ostersonntag ;))

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Es werden weiterhin Spenden und humanitäre Unterstützung benötigt! Nicht aller Bedarf kann durch die großen Organisationen und Aktionsbündnisse abgedeckt werden. Wir bringen die Spenden sehr gezielt zu Empfängern, die auf unsere Transporte angewiesen sind. 

Bitte helft uns weiter zu helfen.

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