5. Humanitärer Transport in die Ukraine

Und wieder mal war es soweit: Der nächste Ukrainetransport hat stattgefunden. Nicht nur an die polnisch-ukrainische Grenze, nein, es ging so richtig ins Land.

Zunächst lief alles wie immer - Donnerstag bei Sonnenschein hat unser schon super eingespieltes Team von "Ratzeburg hilft" den Wagen beladen. Natürlich haben wir aus dem Fehler der Vergangenheit gelernt und arrangiert, dass das Fahrzeug im Nachbarort gewogen werden kann und gewichtsmäßig im grünen Bereich bleibt.




(Das Fahrerhaus war voll mit "persönlichen" Paketen an bestimmte Empfänger, teilweise sind die Abholer mir am Zielort 100 km entgegengefahren.)

Für die ukrainischen Fahrer wird es zunehmend schwieriger, in umgekehrter Richtung die Grenze zu überqueren. Männer zwischen 18 und 60 dürfen das Land nicht verlassen, und die wenigen Personen mit Sondergenehmigung schaffen es nicht mehr, all diese Fahrten zu bewältigen sowie die Spenden in Polen einzuladen und in die Ukraine zu bringen und dort weiträumig zu verteilen.

Wir sind deshalb gefragt worden, ob wir unsere Ladung noch ein Stück weiter bis auf die ukrainische Seite bringen können.

Da ich für den Firmentransporter ein OK bekommen habe, soll es an mir nicht scheitern.

Freitag früh Punkt 6 bin ich gestartet, weil ich in Berlin verabredet war, um ein paar weitere dringend erwartete Kisten mit medizinischem Material zuzuladen. Das hat reibungslos geklappt.

Mit nur zwei kleinen Staus kam ich gut durch und war vor 19h an der Grenze - an jener, die mir bei der allerersten Fahrt Anfang März die denkwürdigen Probleme bereitet hatte. 

Dagegen war es diesmal fast ein Kinderspiel. Als humanitärer Transport konnte ich an den vielen Pkws vorbeifahren und war dadurch sofort ganz vorn, wo ich auch gleich durchgewunken wurde zu den Kontrollen. 

Da geht natürlich der Spaß erst los. 



Auf polnischer Seite wurde mein Pass kontrolliert und der Kfz-Schein, und ich musste einmal die Laderaumtüren öffnen.

Auf ukrainischer Seite gibt es den berühmten "Talon", über den ich eine separate Abhandlung schreiben könnte. Kurz gesagt ist das ein nummerierter Zettel, auf den bei Beginn der Grenzprozedur ein Beamter das Kfz-Kennzeichen schreibt und ihn dem Fahrer aushändigt. Dieser Zettel wird dann von allen möglichen Leuten verlangt, meist in Verbindung mit dem Kfz-Schein. Am Ende der Prozedur, bevor man das Grenzgelände verlässt, sammelt ein weiterer Beamter diesen Talon (der dann mehrere rote Stempel trägt) wieder ein. 

Die Logik der ukrainischen Grenzprozedur hat sich mir nicht erschlossen. Sie wirkte auf mich extrem ineffizient und abschreckend. (Und ich habe durchaus Vergleiche mit anderen nicht-EU-Staaten, die ich mit dem eigenen Auto bereist habe.) Nur als Beispiel: Ich habe den Kfz-Schein viermal vier verschiedenen Leuten vorgezeigt, jeweils im Abstand von einer Fahrzeuglänge. 

Der komplette Grenzübertritt hat mich auf dem Hinweg keine 2 Stunden gekostet, das war sehr human.

Auf ukrainischer Seite ging es einfach weiter die "Autobahn" entlang; bei einsetzender Dunkelheit und Regen wurden die schlechten Straßenverhältnisse zur Herausforderung.

Unbefestigte Schlaglochpisten waren abseits der Überlandstraßen ganz normal, auch in den Siedlungen.

Sprit ist Mangelware.

Mein Zielort war ein Privathaus in Brjuchowytschi, wo ich kurz vor 22h Ortszeit eintraf.

Wir luden noch am Abend die Fracht in die Garage.

Nach einem Tee und einer gemeinsamen Weinschorle hab ich mich im Gästezimmer schlafen gelegt, während die anderen noch bis in die Morgenstunden weiter Sachen gesichtet und sortiert haben.


Um keine Zeit zu verlieren, bin ich am nächsten Tag nach einem halben Kaffee schon vor 8 aufgebrochen. Im Tageslicht sah ich erst so richtig, wohin es mich nachts verschlagen hatte ;)


Für den Rückweg war ich mit einer Mitfahrerin verabredet, mit der ich mich im benachbarten Ort Zhovkva, das früher Zolkiew hieß, treffen wollte. 

Der Weg dorthin war etwas abenteuerlich, denn wie gesagt sind die Straßenverhältnisse ganz anders als gewohnt, und durch die momentane Situation gibt es auch viele Kontrollposten, die am Samstag Morgen jedoch überwiegend unbemannt waren.





Unterwegs habe ich in Soposhyn Halt gemacht - vor über 100 Jahren wurde in diesem galizischen Dorf mein Opa geboren und hat bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs dort gewohnt. Zwei ältere Geschwister meiner Mutter sind noch dort auf die Welt gekommen. Mein Opa lebt nicht mehr, aber hat mit Hilfe meines Onkels Teile seiner Biografie aufgeschrieben. 


Ich nehme an, schon zu seiner Zeit gab es in der Dorfmitte diese Kirche mit dem Friedhof ...





Oder diese kleine Kirche ein paar Straßen weiter?



Und ist er als Kind und junger Erwachsener durch diese Straßen im heutigen Zhovkva gelaufen?






Ich traf mich kurz nach 9 Uhr mit Lena, die schon die halbe Nacht unterwegs war. Wir fuhren direkt zur Grenze, an kilometerlangen Lkw-Schlangen vorbei.


Lena telefonierte mit einer Freundin, deren Mann Truckfahrer ist. Der erzählte, dass er selbst in solch einer etwa 10km langen Warteschlange vor der Grenze stand, und pro Tag kam er etwa 1km vorwärts ...

Wir mussten uns in die Pkw-Schlange stellen, die noch überschaubar wirkte (und hinter uns sehr schnell sehr viel länger wurde). Als humanitärer Fahrer dürfte ich an den wartenden Fahrzeugen vorbei fahren, aber mit einem Passagier geht das nicht.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich unter diesen Umständen beim nächsten Mal, so es eines gibt, allein fahren würde, denn der Unterschied kann schnell mehrere Stunden betragen, und das finde ich ziemlich gravierend.


Wir warteten und warteten, die Fortschritte waren minimal und unberechenbar. Insgesamt brauchten wir nervenzehrende 4 Stunden. Ein bedeutender Teil davon drehte sich erneut um den berüchtigten Talon.

Dass die polnischen Grenzer gründlich arbeiten, werfe ich ihnen nicht vor; schließlich haben sie eine EU-Außengrenze zu schützen. Den Arbeitsstil der ukrainischen Grenzbehörden finde ich aber mindestens fragwürdig. Wenn man als Land Hilfe will, warum macht man es den Helfern dann so wahnsinnig schwer? 

Nachtrag: Ich möchte nicht jammern und mich nicht beschweren. Mir ist bewusst, dass es noch viel schlimmer hätte sein können. Im Vergleich zu dem, was langjährige ukrainische Grenzgänger schon alles erleben mussten, hatte ich offenbar die harmlose "Light"-Version. (Danke, Anatolij, fürs Zurechtrücken meiner Perspektive!)

Gegen 14h waren wir endlich in Polen, und dann ging die lange Fahrt ja erst los. Zumindest gab es keine Verzögerungen auf der Strecke, ich gab Gas, und wir waren etwa um Mitternacht zuhause.

Lena musste am Sonntag Morgen noch weiter nach Rheinland-Pfalz, und ich war sehr froh, dass eine andere Helferin (danke, Christin!) sich bereit erklärt hat, sie nach HH zum Bahnhof zu bringen. Das gab Hugo und mir ein bisschen Zeit, den Transporter wieder in einen vorzeigbaren Firmenwagen zu verwandeln - in Polen scheinen ja doch noch deutlich mehr Insekten unterwegs zu sein als bei uns ... 




Da natürlich auch für den Rückweg Pakete mitgegeben wurden ;) , müssen die jetzt noch zu ihren Empfängern nach Ratzeburg gebracht werden, aber dann wird auch diese Mission erfüllt sein.

Und - mach ich das noch mal? Kann ich nicht sagen. Als ich da am Samstag in sengender Sonne in den Grenzschlangen wartete und es nicht vorwärts ging, war ich mir sicher, dass ich das nicht wiederholen möchte. Mittlerweile kann ich das schon gelassener sehen, und ... wer weiß ...


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